Ich habe mir das Videomic X geholt, um Musikvideos mit meiner Sony Alpha 6500 zu machen. Das Mikrofon wird in einer stabilen Pappschachtel geliefert, in der auch die beiden Windschutze Platz finden. Die Schachtel ist aber leider nicht roadtauglich, eine Reißverschlusstasche wäre auch in Anbetracht des Preises besser gewesen.
Bei der ersten Benutzung fiel mir negativ auf, dass die Befestigungsmutter des Mikros am Blitzschuh meiner teuren Kamera Kratzer hinterließ. Das sollte nicht sein! Außerdem berührt der große kugelförmige Windschutz das Objektiv und stört beim Zoomen. Allerdings ist meine Systemkamera ziemlich klein. Bei einer großen Spiegelreflexkamera dürfte das nicht der Fall sein. Nach einigen Tagen Benutzung machte sich bemerkbar, dass die Bedienungsknöpfe aus schwarz überlackiertem, transparentem Plastik gefertigt sind: Die Farbe am Einschaltknopf begann schon abzublättern.
Positiv fiel mir auf, dass der Klang auffallend gut ist, beinahe so gut wie mit meinem Neumann KM184 Stereo-Set, das allerdings an einer Kamera kaum zu befestigen ist. Dieses Set ist rund doppelt so teuer wie das Videomic und kann nicht ohne weiteres Zubehör mit Batterie betrieben werden. Das Videomic X hat die Kapseln vom Rode NT5 Kleinmembranmikrofon, das dem KM184 ähnlich, aber weitaus billiger ist. Deshalb ist der Vergleich nicht ganz fair, aber egal…
Ich wollte es genau wissen und habe das Videomic mit dem Neumann KM184 eng nebeneinander aufgebaut und verglichen. Der Vergleich ist etwas tricky, man muss aufpassen, dass man da nichts falsch macht. Da das KM184 mono ist, habe ich erst mal nur den rechten Kanal des Videomic mit dem KM184 verglichen, wobei ich die Lautstärke beider Mikrofone möglichst gleich eingestellt und die Mikrofonachsen sorgfältig ausgerichtet habe wegen der Richtcharakteristik (Niere bei beiden). Als Preamp/Mixer habe ich einen Mackie 402-VLZ3 verwendet, der ziemlich neutral klingt und wenig rauscht.
Das Ergebnis erstaunt, man muss schon genau hinhören, um den Unterschied auszumachen. Das KM184 klingt insgesamt etwas ausgeglichener, während das Videomic eine etwas stärkere Höhenanhebung und Bassabsenkung zu haben scheint als das KM184, das aber auch nicht ganz linear ist. Bezüglich Rauschen ist der Unterschied minimal, das Rauschen liegt weit unter dem, was man von Elektretmikrofonen gewohnt ist. Es ist in normaler Umgebung fast nicht wahrnehmbar. Das Videomic in der +20dB Einstellung ist etwas lauter als das KM184, allerdings ist dessen Richtwirkung anscheinend etwas ausgeprägter, d.h. das KM184 holt die Stimmen etwas näher ran. Auch hier ist der Unterschied gering, weil das Videomic dafür etwas präsenter klingt.
Ich habe auch Tests mit Akustikgitarre gemacht, wobei ich hier zwei KM184 in XY-Anordnung zum Vergleich herangezogen habe. Der Unterschied war hier etwas deutlicher, die Gitarre klang etwas weicher und natürlicher mit den KM184, dafür ist beim Videomic X hier die Bassabsenkung sehr nützlich. Was auch auffällt: das Videomic X ist weitaus weniger empfindlich gegen Körperschall.
Nun zur Technik: Beim Rode Videomic X handelt sich um ein Stereo-Mikrofon, bestehend aus 2 Kleinmembran-Kondensatormikrofonen mit 20 mm Durchmesser in XY-Anordnung. Dabei handelt es sich nicht um Elektret-Mikrofone, sondern um Kondensatorkapseln mit einer hohen Polarisationsspannung, die im Mikrofon mit einer Dioden-Kondensator-Kaskadenschaltung erzeugt wird. Das Gehäuse ist aus massivem Aluminium und relativ schwer, allerdings nicht wasser- und staubdicht. Es enthält die 9 Volt-Batterie und einen sehr rauscharmen Vorverstärker mit wahlweise unsymmetrischem Klinkenausgang (3,5 mm) oder symmetrischen Mini-XLR-Buchsen. Beide können auch gleichzeitig verwendet werden, zB. Kamera über Klinke und Recorder über XLR. Die Elektronik ist recht aufwendig und enthält hochwertige Operationsverstärker vom Typ LT6234, einige "Vielfüßler-Chips" und sogar einen ATMEL-Mikroprozessor. Falls das Mikrofon eine digitale Signalverarbeitung enthält, würde mich das eigentlich nicht so begeistern, aber leider schweigt sich Rode darüber aus. Was trotz dieses Aufwands leider vergessen wurde, ist eine Übersteuerungsanzeige! Die Impedanzwandler für die Kondensatormikrofone befinden sich in den Kapseln selbst. Diese sind schwingungsisoliert aufgehängt. Die Entkopplung vom Gehäuse ist erstaunlich gut, Griffgeräusche werden stark bedämpft.
Das Videomic X spielt ganz klar in der oberen Qualitätsklasse mit, vergleichbar mit den besten Kleinmembranmikros von Rode. An das KM184 von Neumann kommt es natürlich nicht ganz heran. Toll an dem Mikrofon ist, dass das alles in Stereo und mit einer 9 Volt-Batterie funktioniert, das sogar noch recht lange, und sogar wahlweise über Phantomspeisung. In der +20dB-Einstellung ist es laut genug, um das Rauschen des Kameramikrofon-Vorverstärkers verschwinden zu lassen. Man muss allerdings aufpassen, dass dieser nicht übersteuert wird.
Die Einsatzmöglichkeiten gehen sicher weit hinaus über die Verwendung als Kameramikrofon. Auf jeden Fall eignet sich das Videomic X außer für Stimmen und Geräusche auch sehr gut als Gitarrenmikrofon. Hier kommt zugute, dass das Mikrofon recht kompakt ist und vor der Gitarre nicht so stört wie z.B. ein KM184 Stereoset. Durch die Bassabsenkung ist es auch etwas weniger popempfindlich als das KM184, und lässt die Korpusresonanz nicht so stark boomen. Der Grenzschalldruck ist bei beiden ähnlich hoch.
Begrenzt wird der Einsatz vor allem durch die nicht verstellbare XY-Anordnung ohne Richtwirkung. Der Stereoeffekt ist bei einer XY-Anordnung deutlich zurückhaltender als bei einer AB-Anordnung. Gegenüber einem Mid-Side-Stereomic ist das Panorama nicht verstellbar und die Stereomitte etwas schwächer. Also diesbezüglich keine Wundererwarten. Weiter entfernte Sprecher werden mit einem Richtmikro besser erfasst. Auch für Chöre oder Orchester ist das Mikrofon nicht die erste Wahl, aber für überzeugende Ambience-Aufnahmen jederzeit. Wegen dem hohen Grenzschallpegel ist es durchaus auch bei Rockkonzerten einsetzbar. Sehr zu begrüßen sind beim Außeneinsatz die beiden Windschutze (Schaumstoff und Fell).
Fazit: Abgesehen von den erwähnten Einschränkungen (kleinere Mängel an der Verarbeitung, fehlende Übersteuerungsanzeige und nicht verstellbaren XY-Anordnung ohne Richtwirkung) kann man das Videomic X eigentlich nur wärmstens empfehlen. Der Klang ist super und der Preis ist mittlerweile auch einigermaßen stimmig.